Bei seinem Vergleich der großen Theoretiker Lee Strasberg, Bertolt Brecht und Konstantin Stanislawski bezieht sich Richard Blank auch auf das hinter der jeweiligen Technik verborgene Menschenbild, auf das "Illusionstheater" Hollywoods, den Unterschied zwischen Bühne und Film und Bühne und Alltag. Blanks oft kritische und sehr genaue Ausführungen sind für den Leser eine amüsante und anschauliche Lektüre, vor allem, wenn seine eigenen Erfahrungen mit Schauspielern während der Dreharbeiten einfließen: Marianne Hoppe, Brigitte Karner, Hannelore Schroth, Ekatarerina Strishenowa, Katharina Thalbach, Rosel Zech; Rafael Klachkin, Axel Milberg, Branko Samarovski, Bernhard Wicki, Ulrich Wildgruber u.v.a.
»Man kann diesen brillant geschriebenen Essay (bzw. seinen Autor) einen seltenen Glücksfall nennen, da sich hier der geschulte analytische Denker und der erfahrene Praktiker in einer Person vereinen.«
James M. Graham, Producer, London
»Manchmal hat man es satt, über Material, Seele, Körper, Geist zu reden, und sagt sich: Ist der Schauspieler nicht eine Person? Also was gebe ich mich dauernd mit Teilaspekten ab? Gut, nehmen wir die Person als Ganzes! Und gleich stehen neue Fragen ins Haus: Der Alltag ist nicht die Bühne, nicht der Film, und wie verhält sich die Person in diesen Bereichen, die nicht identisch sind? Was ist ›eine Person als Ganzes‹?
Marianne Hoppe machte mich auf einen Aspekt aufmerksam, den ich vorher nicht bedacht hatte. Die Hoppe ist außerordentlich klar im Kopf, hat ein umfangreiches intellektuelles Wissen und die seltene Gabe einer exakten, kühlen Selbsteinschätzung. Als Hannelore Schroth 1987 gestorben war, versuchte ich Marianne Hoppe für eine Rolle zu gewinnen. Sie hat mit fortschreitendem Alter nur noch wenig gedreht und galt als sehr wählerisch. Sie kam in mein Haus, um sich fünf Stunden lang meine Filme mit ihrer verstorbenen Kollegin anzuschauen. Dann sagte sie: »Ich mache die Rolle, okay.« Als ich mein Entzücken äußerte, unterbach sie mich: »Aber glauben Sie nicht, daß ich das leisten kann, was die Schroth da bei Ihnen macht!« Ich war verblüfft. Etwas ratlos erinnerte ich sie daran, daß sie immerhin als die bedeutendste deutsche Schauspielerin der Nachkriegszeit gelte. Sie schien das überhört zu haben, dachte eine Weile nach und sagte dann: »Sie müssen in Ihrem Buch etwas ändern. Streichen Sie alles, wo ich deprimiert oder traurig sein soll!« Ich glaubte, mich verhört zu haben und antwortete nichts. »Ich kann es nicht«, sagte sie. »Aber gnädige Frau, Sie haben unter Gründgens, in Düsseldorf, auf der Bühne …« »Die Bühne«, unterbrach sie, »hat nichts mit Film zu tun, rein gar nichts! Auf der Bühne kann ich allerhand darstellen, deklamieren, spielen - aber Film!, da merken Sie doch zumindest bei jeder Großaufnahme, ob einer etwas vortäuscht oder nicht! Im Film muß ich das, was ich spiele, immer auch sein.« Mir verschlug es die Sprache, und als ich nichts sagte, insistierte sie: »Ich bin weder traurig noch deprimiert. Das mag ein Mangel sein oder ein Tick, aber ich bin es nicht, niemals, basta!« Ihr Geständnis der Unvollkommenheit war für mich wie eine Offenbarung. Wenn man eine Person, wenn man ihr Sein nicht als theoretische Größe nimmt, sondern in der Realität beläßt, dann ist ihre Vollkommenheit gekoppelt an eine Beschränkung. Damit ist kaputt, vernichtet, endlich eliminiert die Illusion vom omnipotenten künstlerischen Genie, das in seinem geschlossenen Kunstkosmos nach Vollkommenheit strebt. Hoppes Beschränkung im künstlerischen Bereich beruht auf der realistischen Einschätzung ihrer persönlichen Möglichkeiten. Mit ›Sein‹ meinte sie ihre Existenz im Alltag, die sie für ihre Arbeit im Film als unabdingbare Voraussetzung sieht. Für den Regisseur ergibt sich daraus die Maxime: ich darf bei der Filmarbeit nichts vom Schauspieler verlangen, was er nicht kann, weil er es nicht ist.«
Richard Blank in Schauspielkunst in Theater und Film
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Schauspielkunst in Theater und Film
Strasberg, Brecht, Stanislawski
2001
Broschur. 160 Seiten. 16 Abb.. 3. Auflage
ISBN 978-3-89581-068-819,90 € *