Die packende Autobiographie des polnischen Literaturwissenschaftlers und Kritikers.
»Ich möchte gerne, keinem Trend folgend, auf die 1993 erschienene Autobiographie Leben auf Raten von Jan Kott hinweisen, dessen Werke Alexander Wewerka in beharrlicher Treue zu dem polnischen Theaterkritiker und Theaterenthusiasten in deutscher Übersetzung verlegt hat. Kotts Autobiographie ist bei uns so gut wie nicht gelesen worden, weil sie, vermute ich, eben weniger geschwätzig und süffig, aber lebenswahrer als das von Kreti und Pleti gekaufte Mein Leben von Reich-Ranicki ist.« Klaus Völker
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Leben auf Raten
Versuch einer Autobiographie
Aus dem Polnischen von Agnieszka Grzybkowska
1993
»Das Buch ist atemberaubend spannend, wenn Kott Grenzsituationen schildert: den Brand im Warschauer Ghetto, die Flucht aus dem Transport ins Nirgendwo, die Partisanenzeit und die erbitterten Anstrengungen, unter Hammer und Sichel wenigstens ein Minimum an (innerer) Freiheit zu bewahren.«
Roland Wiegenstein, Frankfurter Rundschau
Der große Kott: Zum Tod des polnischen Theaterkopfs und Shakespeareforschers von Peter von Becker
Superlative entsprechen auch in jenen Todesfällen, da wir einen geliebten oder verehrten Verstorbenen rühmen, selten der vollen Wahrheit. Und doch ist beim Tod des exilpolnischen Literatur- und Theaterwissenschaftlers Jan Kott die Ausnahme angebracht: Kein anderer Theoretiker nämlich hat in den letzten 100 Jahren mit seinen Interpretationen derart Einfluss genommen auf die Praxis der von ihm beleuchteten, erhellten, befeuerten Kunst.
Theorie und Kreation sind so bei Jan Kott gleichsam eins geworden. Seine 1965 in Warschau erschienene, in alle Weltsprachen übersetzte Studie Shakespeare, unser Zeitgenosse (im Deutschen lange Shakespeare heute) hat alle wesentlichen Inszenierungen des Dramatikers, von London bis Tokio beeinflusst.
Erst Kott hat das elisabethanische Genie, von dem man sagt, das seit Gott keiner mehr erschaffen hat, zum Dichter der ganzen Welt und aller Zeiten werden lassen.
Kott erkannte im King Lear die Vorausschau auf Becketts Endspiele, er analysierte in den Königsdramen den universellen Kern jeglicher Gewaltpolitik. Und erst, als wir Hamlet mit Kotts Augen sahen, war das Schauspiel zu jener Schlinge geworden, in dem sich Psychologie und Politik, von Hitler und Stalin bis Ceausescu und Milosevic, immer wieder aufs Neue einfangen lassen. Ob Peter Brook oder Peter Zadek, ob Ariane Mnouchkine oder Akira Kurosawa, alle wichtigen Shakespeare-Regisseure sind so Jan Kotts Jünger und Zeugen geworden.
Das lag nicht nur daran, dass Kott in einer wunderbar plastischen Sprache schrieb, die wie mühelos Kunst- und Realgeschichte, Philosophie und Philologie, Weltkenntnis und Menschenbeobachtung miteinander verband. Kotts immenses Wissen gründete auch auf seiner besonderen Lebenserfahrung. Der polnische Jude ist unter dramatischen Umständen der Deportation und, schon vor den Gewehrläufen, der Exekution durch die Deutschen entkommen; er war Partisan,
Kommunist - und bald auch Opfer des Stalinismus. Er hat in Frankreich mit Trotzkis späterem Mörder Boule gespielt, mit Pasternak und Lukácz diskutiert und ging schließlich nach Paris und später nach Kalifornien, an die Stanford University.
Bis zuletzt sprach er Englisch mit nuschelndem polnischen Akzent, im Gespräch voll liebenswürdigem Witz: ein agiler kleiner Herr und großer Kopf, der noch immer gerne jungenhafte Blicke nach hübschen Mädchen warf. Er überstand zwei Herzinfarkte und ein Jahrhundert, und hat noch einen im Berliner Alexander Verlag erschienenen grandiosen Versuch einer Autobiographie geschrieben, sein Leben auf Raten.